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Caucedo Landgang (2007-06-26 23:09)
Woche 7 
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Um gut 15 Uhr lagen wir in Caucedo fest. Sofort stürmten die Hafenleute das Schiff, im Cargo Office auf dem Copperdam-Deck gab es die große Runde. Wie in jedem Hafen sitzen der Kapitän, der Chief Mate, der Shipsagent (die landseitige Kontaktperson für alles rund ums Schiff und Ladung), Einwanderungsbehörde, Lademeister und weiß der Geier wer um den Tisch.

Caucedo ist anders. Und man sieht es dem Kapitän an. “Welcome to hell” sagte er schon auf der Hinreise. Und so sollte es dann auch kommen. Bram erzählt später, dass die Räuberbande Bediensteten vor dem Gehen noch den Tisch abgeräumt haben. Alle vollen, ungeöffneten Getränkedosen verschwanden in ihren Taschen. Allerdings standen auf dem Tisch auch keine Coca Cola-Dosen sondern irgendeine Billig-Plöre.

Es ist 16 Uhr, Bram, Achim, Fokko und ich sammeln uns für Ashore. Wir drei nach Boca Chica. Brams Reise endete hier, er musste das Schiff Richtung Hotel verlassen. Also vier Mal Immigration bitte. Der Shipsagend verschwand allerdings vorher mit dem Chief Engineer und wollte in 20 Minuten mit den Papieren wieder hier sein. Nach einer halben Stunde diskutierten wir, wie lange dem spanischen Kulturkreis zugerechnete 20 Minuten sind. Nach 90 Minuten gingen Achim und Fokko zum Abendessen, Bram und ich hielten die Stellung. Nach 2 Stunden guckte der Kapitän um die Ecke, fand das er jetzt mal was sagen könnte und schlug vor, dass wir uns doch einfach so auf die Reise zum Hafengate machen könnten. “Perhaps they are lazy and give you the passes without much controlling. I have no other idea.”

Ja, fanden wir eine gute Idee, weil dann bewegt sich wenigsten was. Bram blieb zurück, will auf den Agent warten. Auf dem Schiff vor der Gangway gab es noch mal Security, jeder bekam einen wichtigen Pass. Meiner mit der Nummer 007.

Dann standen wir gute 45 Minuten am Ende der Gangway zu Füßen der Kranportale. Denn übers Gelände laufen ist ein großes NONO. Es gibt extra ein Blättchen in verquerem English, das drauf hinweist, dass dieser Hafen eine “Security Policy that safe lives” hat. Und darum holt uns ein Shuttlebus ab. Der kam auch irgendwann, fuhr an uns vorbei und ohne uns weiter. Wir standen an der Kaje und wunderten uns schon lange nicht mehr.

Dann kam ein Pickup-Wagen mit eingeschlagenem Frontscheinwerfer, zwei Security-Leute stiegen aus, sahen uns, gaben Fokko einen dicken Stapel Immigrationsformulare und Fokko suchte die passenden raus. Zwei Stück für jeden, eins für raus und eins für rein.

Dann wurde vom einen Typ heftig telefoniert. Ok, meint er in einer kompatiblen Sprache, Shuttle kommt gleich. Und beide gingen an Bord.

10 Minuten später (jetzt haben sie, liebe Leser, gedacht, dass das Shuttle kommt, nichtwahr?) kommen sie wieder von Bord. Im Schlepptau Bram, danach ein Mannschaftsmitglied mit seinem Koffer. Bram verschwindet in einem zwischenzeitlich aufgetauchtem Wagen, was wohl der Agent war. Weg ist er. Die beiden Typen und wir drei stehen immer noch an der Kaje. Sie telefonieren mehr, mehr Hektik am Telefon, sprachinkompatibel.

“If you want it quick go here” sagt er auf einmal und deutet auf die Ladefläche des Pickups. Na klar. Soweit die Sicherheitsdingensbumens. Wir also auf die Ladefläche, auf den Boden hingesetzt und los geht es über das Hafengelände. Fokko findet, dass jetzt nur noch eine Bierkiste auf der Ladefläche fehlt.

Dann ein erfrischend einfacher Vorgang: Wir verlassen nach Abgeben des einen Zettels einfach das Gelände. Und draussen steht schon unser Taxi. Preis nach Boca Chica Beach beträgt eine Strecke 25 Dollar. Fokko diskutiert, letztes Mal nur 15. Wir enden bei 20.

Taxi mit funktionierenden Stoßdämpfern und Tacho (wobei ich mir nach der Fahrt gar nicht mehr so sicher bin, ob ich wirklich wissen will, mit welcher Geschwindigkeit ich gerade in diesem Verkehr unterwegs bin), dafür heftiges Auspuffproblem. Und ein paar klitzekleine Risse in der Windschutzscheibe. Zwei mal quer rüber und nochmal quer durch.

Taxifahrer will Konversation. Ich sitze wieder vorne, es geht nicht anders, also erzähle ich ihm was von Himbeersaft. Er sieht ein, dass Konversation nur in Schlagworten funktioniert. Ab da sind wir beste Freunde.

Fokko und Achim werden am Stand abgeladen, beide wollen ihre Einkaufsliste abarbeiten, Fokko im Meer schwimmen. Ich instruiere meinen Fahrer, mir ein Internetcafe zu suchen und laufe ihm hinterher. Schwarze Mädels betätscheln meinen Arm und bieten Dienstleistungen an. Inkompatible Sprache, ich kriege nicht raus, was ein Blowjob kostet. Außerdem kenne ich die Landesbezahldingens in Dollars umgerechnet auch nicht. Und ganz außerdem will ich ins Internetcafe.

Drei Internetcafes, drei Nieten. Keines will mich ran lassen, nix mit Steckerstöpseln. Den Weg über hat sich ein etwas durcheinander wirkender Bürger, der sich scheinbar in einer finanziell angespannten Situation befindet, zu uns gesellt. Er wollte einen Dollar, weil er Hunger hat. Positiver weise sprach er ziemlich sehr gutes Englisch, negativ fiel seine penetrant bettelnde Art und sein um uns rum gespringe und in alles einmischen auf. Der Taxifahrer konnte ihn nicht verscheuchen, da probiere ich es erst gar nicht.

Der Typ, nennen wir ihn mal Jo, bekam mit, das ich ein Internetcafe suche, wo der Netzwerkstecker abgezogen werden darf. Und schwallerte meinen Taxifahrer voll, dass er eines wüsste. Wir ins Taxi zurück, Jo saß plötzlich hinten und nach kurzer Fahrt hatten wir so ein Internetcafe.

Es war eines von der grausameren Sorte. Daten hochladen mit 5k/s. Also so wie vor 15 Jahren. Verbindungsabbrüche. Auf einmal ging gar nix mehr. Jo lamentiert rum, laut, noch lauter, dass ich das Internet “fucked up” hätte. “your pc is broken”.

Was er von PCs verstünde? Alles, so seine Antwort. Ja, geglaubt. Und ich bin Gehirnchirurg. Ich heben den Zeigefinger, legen ihn auf meine Lippen und wundersamer Weise verstummt Jo. Das muss ich auch mal bei anderen Gelegenheiten probieren.

Internet ist immer noch ganz aus. Ich nehme Kontakt mit dem Cafebetreiber auf, inkompatible Sprachmodule, aber es klappt. Einen Moment später bin in in einen schmierigeren Kabuf mit Plexiglasabtrennung zum Hauptraum umpositioniert, wohl das Lager mit dem Router, da geht es wieder. Jo beginnt wieder zu lamentieren, ich hebe den Finger, SNAFU.

Gute 1 Stunde und 30 Minuten später ist das Wichtigste getan, alle Mails gelesen, einige Mails beantwortet, einige Kunden vertröstet und einige Termine bestätigt. Jo wird nervös. Denn er will nun endlich sein Geld dafür sehen, dass er mich hier her gebracht hat. Und er will weg. Er trägt eine Turnhose und kratzt sich ausgiebig am Hintern. Kein schöner Anblick, aber ich bin emotional gefestigt.

Jo: “I want my money.”
Ich: “How much?”
Jo: “How much do you want to pay?”
Ich: “Nothing. Whatfor?”
Jo: “I brought you here. Pay me 10 dollars.”
Ich: “One dollar.”

Jo ist unglücklich emotional aufgewühlt und rennt nach draußen. Und wieder rein, spanische Diskussionen mit dem Cafebesitzer, meinem Taxifahrer und Umsitzenden. Auf einmal ein Knall (ja, liebe Leser, nun denken sie an eine aggressive Reaktion von Jo) und der Laden ist dunkel. Nur ich sitzte in meinem Kabuf beleuchtet von meinem Notebookbildschirm. Rumgerenne. Irgendwelches Hantieren. Raum wird wieder hell. Ich gucke in die Runde und sage nur “Not me”. Alles lacht.

Jo ist wieder da und erzählt mir, dass es viel viel teurer wird, wenn ich noch länger bleibe. Ich solle doch besser jetzt Schluss machen und bezahlen. Und dass er 10 Dollar will. Dann ist er wieder draußen und kratzt seinen Hintern. Der Cafebesitzer zeigt mit drei Finger, zeigt auf Jo und dreht mit dem Zeigefinger an der Schläfe. Ich brauche einen Augenblick, glaube zu verstehen, was er meint und nicke ihm lachend zu.

Dann ist meine Zeit rum, nach zwei Stunden wollten Fokko und Achim abgeholt werden. Also Abbruch. Zum Cafebesitzer, Preis aushandeln. Keine Ahnung, irgendwas in landesüblichen Bezahldingens. Jo übersetzt. “He wants 30 Dollars”, sagt er.

Ok, denke ich, Jo, wir beide kennen uns lange genug. Meine Schweine erkenne ich zwar nicht am Gang, aber 30 Dollar glaube ich kaum. Mehrfaches hin und her zwischen Cafebesitzer und mir, ich halte Dollarscheine hin, ein 5er erleuchtet das Gesicht. Ok. In Manzanillo hat eine himmelweit bessere Leistung nur 3 Dollar gekostet, aber warum nicht. Er war bemüht, hat geholfen, freundlich. 4 Euro. So what?

Jo sieht seine Felle schwimmen. Ich und mein Taxifahrer sind raus, er ins Taxi und den Motor an. Türen hinten verschlossen. Ich rein, Tür zu, Fenster hoch. Jo hängt an der Fahrertür und hat noch kein Geld. Was auch gut so ist, denn ich fand, dass ich ihm genau jetzt sein Geld geben könnte. Weil mir klar war, dass Jo es nicht lustig findet, wenn ich ihm nur 2 Dollar geben. Eine gute Einnahme für den Weg zu einem Internetcafe weisen und ab dann nur noch rumnerven und anlügen.

2 Dollar wollte Jo nicht. 10 Dollar. Oder zumindest 3 Dollar. Aber er hatte das Problem, dass das Auto schon rollte und sein Arm nicht lang genug war, um mir am Fahrer vorbei an die Gurgel zu gelangen. Und so waren wir dann auch Jo los.

Gekurve durch Boca Chica Beach, irgendwann waren wir wieder am Strand, scheinbar die Amüsiermeile. Mädels zwischen Wrack und Model laufen rum, wenn ich langsamer werde habe ich sie an den Armen. Ungewöhnlich. Straße rauf, Straße runter, wg. inkompatibler Sprachmodule hat unser Taxifahrer nicht verstanden, wo der abgesprochene Treffpunkt ist. Er ist auf der Suche nach Achim. Und er kennt all’ die Kerle auf den Motorrädern, die an den finsteren Ecken auf ihren Maschinen parken. Daher reduziere ich den Sicherheitsabstand zu denen auf unter zwei Meter. Sie rufen irgendwas, einer “Give me five”, wir klatschen im Vorrübergehen die rechten Hände zusammen. Immer gut, wenn man schon mal mit den einheimischen Rockern sowas wie erste positive Kontaktaufnahme durchführt. Gut, dass mein Taxifahrer dabei ist.

Dann finden wir Achim und Fokko. Sie sitzen am Tisch mit zwei Gewerbetreibenden, deren Auftragsentwicklung allerdings keinen positiven Verlauf aufweist. Trotz breiter Angebotspalette und üppiger Ausstattung, so erzählt Fokko im Taxi, und einer schrittweisen Reduzierung des Leistungsumfanges auf kürzere Dienstleistungen wäre es zu keinem Geschäftsabschluss gekommen. Wobei er wohl der bevorzugte Geschäftspartner gewesen wäre, an Achim sei das Interesse gering gewesen.

In fast Dunkelheit, Straßenbeleuchtung ist selten, geht es Richtung Hafen zurück. Eine Ampel blinkt Rot-Grün. Was wohl soviel bedeutet, dass man fahren kann, wie man will. Muss sie dazu extra noch blinken? Egal, wir biegen ab, tanken kurz, es geht in die hintersten Ecken des hintersten aller dunklen Parkplätze dieser Tankstelle, dort parkt ein Wagen mit einem Sack junger Menschen. Ich denke über mein nahes Ende nach. Weichei.

Und plötzlich biegen wir doch noch ab, sind auf einer menschenleeren, breiten, dunklen Schnellstraße, die ich mühsam als unseren Hinweg erinnere. Mit 50 Meilen die Stunde brausen wir die Straße runter, man sieht nicht viel und ich denke wieder an Ende und so Dinge. Weichei.

Dann der Kreisel, Hafentor, Abschied vom Taxifahrer. Der will natürlich auch noch 20 Dollar für den Rückweg und 10 Dollar für den Service im Internetcafe. Da ich ihm sowieso 5 Dollar Trinkgeld geben wollte sind wir uns schnell einige.

Rein zum Tor. Ein Wachmann mit umgehängtem M16 (meint Fokko). Er will die Papiere. Als ich dran bin, sagt er noch mal streng “Papers” Ich sage “Sir, Yes, Sir”, grinse und gebe meinen Zettel hin. Die Situation ist geklärt.

Wir sind durch das Tor und fragen nach dem Shuttle. Ja, kommt. Irgendwann nach erstaunlich wenigen Minuten taucht ein Pickup auf, vorne zwei Typen, Beifahrer wieder mit M16. Wir wollen auf die Ladefläche krabbeln und werden aufgehalten. Wir mögen doch bitte auf der hinteren Rückbank Platz nehmen. Ok, Achim ist schmal gebaut, Fokko gute 2 Meter irgendwas lang aber nicht so breit. Aber ich passe da nicht mehr rein, wirklich. Und auch vor 20 Jahren wäre es nicht gegangen. Nach etwas Gejammere meinerseits steigt der kleine Beifahrer mit seiner M16 aus, quetscht sich hinten rein und ich habe meinen Beifahrersitz. Geht doch. “I can hold your gun.” sage ich nach hinten, aber die möchte er dann doch lieber selbst halten.

Zurück zum Schiff, auf den restlichen 100 Metern auf einmal hektische inkompatibles Gerede vom Ex-Beifahrer. Ach so, er will nur, dass das Radio lauter gedreht wird. Und wir hören den aktuellen Sommerhit in ganz laut.

Gangway hoch, Taschenkontrolle. Weder Fokkos zwei Kisten Cohiba Espléndidos mit je 25 Churchills werden bemängelt noch wird in meiner Tasche unter das Notebook geguckt.

In der Kombüse stehen zwei Kohlrouladen für mich, im Gang finde ich den Koch und kriege einen Liter kaltes Wasser. Der Tag war mal wieder unerträglich heiss.

Ein guter Landgang.

Wobei die eine der zwei Kisten Cohibas meine ist. Stellt sich die Frage, was ich damit anstelle. 25 Stück, originalverpackt in handgebastelter Holzschatulle mit Plexideckel und Blister, grünem Siegel der Republica de Cuba, rote Chargennummer, die 25 Churchills natürlich noch mal einzeln versiegelt.

Ich könnte das Rauchen anfangen. Von unserem Exkanzlers Zigarrensorte.

Wie lange hält sich so was? Das mit dem Rauchen ist ja keine einfache Entscheidung.

(Boca Chica: zumindest heisst es auf der Seekarte so. Tatsächlich bin ich mir nicht mehr genau sicher, wie es dort hiess.)

18° 25,240’ N 69° 37,784’ W (100ft)

 


 
    

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